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  • Writer's pictureAngry Lump

Liebe Impfgegner, ihr seid nicht mutig.

Gestern fuhr ein sogenannter Autokorso durch unser Dorf. Hunderte Autos hupten uns aus unserer Sonntagsruhe, um gegen eine eventuelle Impfpflicht zu demonstrieren. Demos, schön und gut. Aber warum muss das unser Dorf ausbaden? Welchen Zweck verfolgt diese Aktion? Sind nicht "die da oben" die Bösen? Die sind aber nicht in Plattenburg. Die sind in Berlin. Dieser Autokorso hat in erster Linie seine Mitbürger belästigt, und mir erschließt sich nicht, wie sich das auf Corona-Gesetze auswirken soll. Als "rote Linie" bezeichneten sich diese Wohlstandsbürger, die sich das Benzin hierfür leisten können - aber was passiert denn, wenn diese rote Linie überschritten wird? Was machen sie dann? Mit welchen Konsequenzen drohen sie? Oder drohen sie, wie Rapper drohen? Große Klappe, nichts dahinter, reines Imponiergehabe von Leuten, die insgeheim wissen, dass sie es weder in der Hose, noch hinter den Ohren besonders dick haben?


Aber dieses egoistische, asoziale Verhalten ist typisch für Querdenker. "Asozial" war in Deutschland bislang verpönt, wurde mit Sozialschwachen und Kleinkriminellen oder Alkoholikern assoziiert. Aber unter dem Deckmantel der Freiheitskämpferei ist "asozial" neuerdings salonfähig. Denn nun ist eine halbe Stunde hupen keine Ruhestörung, nein, sie ist ein Zeichen gegen, äh, wenn man die Querdenker fragt, eine Diktatur, die der Judenverfolgung angeblich immer mehr gleicht. Typisch für eine Diktatur ist ja schließlich, Demos zur Kritik an der Regierung anmelden und unter Polizeischutz sogar an normalerweise gesetzlich zur Ruhe bestimmten Sonntagen ausführen zu dürfen, und das ohne jegliche Konsequenzen, wenn man von genervten Reaktionen der Anwohner absieht. Aber ja, die Parallelen zum Holocaust sind offensichtlich, das wusste auch Jana aus Kassel, die sich wie Süff... Suff... Sophie Scholl fühlt, wie sie auf der Bühne ganz legal und von einer Sicherheitsfirma beschützt, ihren Rotz ablässt.


Liebe Querdenker, ihr werdet nicht unterdrückt. Ihr erfahrt eine lästige, neue Einschränkung eurer Freiheiten, die der vorübergehenden Pandemiebekämpfung dient. Keiner will euch aufgrund eurer Identität entrechten oder gar töten. Ich bin zwar nicht für eine Impfpflicht für alle, aber ich sehe den Unterschied zu bisherigen gesetzlichen Verpflichtungen nicht: Sicherheitsgurte sind unbequem und haben sogar schon Menschen verletzt oder getötet, aber keiner demonstriert dagegen. Viele Leute könnten auch ohne Führerschein super KFZ fahren, aber keiner demonstriert für eine Abschaffung der Führerscheinpflicht. Tatsächlich ethisch fragwürdig ist, dass nur diejenigen, die das Privileg eines Jurastudiums hatten, über anderleute Schicksal richten dürfen, und dennoch demonstriert Deutschland nicht gegen einen diplomfreien, einzig Prüfungs-basierten Einstieg in die Berufe der Volljuristen - oder wenigens für ein für alle Abschlüsse zugängliches Jurastudium, obwohl gerade Sozialschwache und Minderheiten, die oft aufgrund ihrer persönlichen Lage keinen Zugang zu Gymnasium und Hochschule haben, wertvolle Stimmen in einem ungerechten System sind und in einer gerechten Welt Schwarze nicht von Weißen, Frauen nicht von Männern, und Arme nicht von Reichen gerichtet werden sollten.


Obwohl die deutsche Gesellschaft heute sehr gemischt ist, sehe ich auf den Querdenkerdemos und -Korsos immer nur Weiße. Wenige von ihnen sind gekleidet oder gestaltet, wie man es von der LGBTQ+ Community kennt: die meisten wirken recht konservativ, höchstens gibt es mal rote Haare oder Tattoos. Man sieht keine Hijabis, Sikh-Turbane, Kippas, oder andere nicht-christlich geprägte, religiösen Symbole. Man sieht keine Menschen mit "erkennbarem" Migrationshintergrund: Araber, Asiaten, Inder, Schwarze, wo sind sie? Man sieht nicht die typischen, jungen Feministen oder Aktivisten für Neurodiversität, mit ihren bunten Haaren, Piercings, und ausgefallenen Outfits. Die Querdenkerdemo ist eine relativ homogene, weiße, (cis-)heteronormative, religionsfreie oder christlich angehauchte, von sichtbaren Behinderungen verschonte, Masse. Eine Masse von weitgehend privilegierten Menschen, deren Körper oder Identität ihnen im Alltag nicht zum Verhängnis wird. Unterprivilegierte, Menschen obengenannter Minderheiten, scheinen echte Probleme zu haben, die es ihnen schwer machen, eine eventuelle Impfpflicht als die höchste Priorität zu sehen. Denn während wir "Linksversifften" uns für eine Welt einsetzen, in der niemandem seine Identität oder sein Körper zum Verhängnis wird, wozu auch der Schutz vulnerabler Gruppen vor Corona gehört. setzen Querdenker sich nur für ihre eigenen Interessen ein und geben uns im Alltag kaum Gründe, uns bei ihnen gut aufgehoben zu fühlen oder unsere Interessen und Bedürfnisse vertreten oder berücksichtigt zu sehen - im Gegenteil, schon allein die bescheidene Bitte, auf das Wort "Neger" zu verzichten, stößt beim typischen Querdenker auf energische Ablehnung und Vorwürfe, man würde Deutschen ihre Kultur verbieten wollen (ist die deutsche Kultur von rassistischen Ausdrücken abhängig? Verstehe!).


Denn wenn wir ehrlich sind, gehen den Querdenkern soziale Gerechtigkeit und der Schutz systemisch Benachteiligter, an ihrem bislang behüteten Arsch vorbei. "Schlimmstenfalls" ist ein Querdenker wirtschaftlich sozialschwach. Obendrein auch noch schwarz und/oder transsexuell, eher selten. Aber die kapitalistische Gesellschaft hat Geringverdienern alles mögliche eingeredet, um sie zu überzeugen, dennoch zur Normgesellschaft und nicht zu den ach so nervigen Minderheiten zu gehören. Und so sind sie sich keiner tatsächlicher systemischen Benachteiligung bewusst - bis die böse Impfpflicht droht. Endlich kann die deutsche Normgesellschaft auch mal behaupten, unterdrückt zu werden. Sie sah George Floyd und Homosexuelle und dachte: Mensch, ich will auch mal eine Opferrolle!

Aber auch hier ist das Engagement strikt in eigener Sache, nobel nur, weil es "Leidensgenossen" gibt. Bei keinem Querdenker oder Impfgegner, auf dessen Profil ich geschaut habe, habe ich Inhalte gefunden, die dafür sprechen, dass er sich außerhalb der Corona-Sache für eine gerechtere Welt FÜR ALLE einsetzt - im Gegenteil, sie sind meistens rechts oder konservativ geprägt und posten, teilen, oder unterstützen nichts, das sich für Minderheiten einsetzt, denen sie nicht angehören: kein Black Lives Matter, kein Feminismus (es sei denn, dieser wird zur Hetze gegen Transmenschen missbraucht), keine Erwähnung von Hanau oder der Tatsache, dass jeden 3. Tag in Deutschland eine Frau wegen ihres Geschlechts getötet wird. Nein, wenn sich diese Themen auf Querdenkerprofilen oder in ihren Kommentaren finden, dann um auf diesen Minderheiten und Ungerechtigkeiten herumzutrampeln, denn wie können diese Schwarzen, diese Juden, diese Transen, es wagen, über Unrecht zu klagen, wenn sie doch auf Papier schon Mensch sein dürfen! Wenn doch der konservative Deutsche keinen Rassismus erlebt und der Schwarze somit lügt, wenn er behauptet, täglich damit zu kämpfen zu haben. Wenn der Feminismus doch reiner Männerhass ist, jetzt, wo Frauen großzügiger Weise wählen dürfen! Nein, Querdenker demonstrieren und engagieren sich nur in eigener Sache, und vielleicht gerade so für den Tierschutz, denn dieser rechtfertigt für viele Menschenfeindlichkeit und Selbstbeweihräucherung.


Und dabei finden sie sich so mutig - in ihren angemeldeten Demos mit Polizeischutz. Aber haben sie wirklich Angst? Ob begründet oder nicht, haben sie Angst? Denn wer wirklich Angst um seine Zukunft hat, Angst davor, sich potentiell tödliches Gift spritzen lassen zu müssen, der hupt nicht friedlich durch die Prignitz, obwohl er ganz genau weiß, dass das nichts bewirkt - außer einer Belästigung seiner Mitbürger.

Wer sehen will, was passiert, wenn tatsächlich unterdrückte Menschen aufrichtig Angst um ihre Zukunft und die ihres Volkes haben, schaut zum Nahen Osten. Denn dort wird nicht brav mit Schildern gewedelt. Männer, Frauen, Greise, Behinderte, Kinder, alle lehnen sich auf, und zwar mit Gewalt. Sie geben sich in tatsächliche Gefahr, wenn sie israelischen Panzern oder Assads Truppen gegenübertreten. Sie setzen ihre Sicherheit und die ihrer Lieben aufs Spiel, um sich für ihr Volk einzusetzen und kämpfen mit allen Mitteln - mit Aufklärung, aber auch mit Waffengewalt und Märtyrertum - gegen ihre Unterdrücker.

Und derselbe konservative, deutsche Querdenker, der seinem Demo-Nachbarn auf die Schulter klopft, um ihn für seinen Mut zum Schilder-Wedeln zu loben, verurteilt dann diejenigen, die gegenüber viel mächtigeren Feinden als der Bundesregierung kapitulieren mussten und sich und ihre Familien durch Flucht nach Europa retten. Ihr seid nicht mutig, ihr seid ein Witz. Ihr haltet euch für toll, mit dem Auto durch Wittenberge zu hupen, beschimpft und belächelt aber gleichzeitig Afrikaner und Araber, die auf Schlauchbooten dem Mittelmeer trotzen und ihr Leben riskieren, um dieses zu retten. Ihr seid nicht Aylan und ihr seid nicht Sophie Scholl. Ihr seid Dirk und Anika.

Eure Autokorsos sind befremdlich höflich für einen Protest gegen angeblich so große Gefahren. Ihr mutet an wie ein zahmer, wohlerzogener Hund, der gegen einen Wechsel seines Futters protestiert, indem er Herrchen auf den Teppich kackt und sich darauf verlassen kann, dafür keine Ohrfeigen zu kassieren.


Wer ernsthaft bedroht wird, kackt nicht auf den Teppich - er beißt. Wirklich lustig, wenn dann wir Impfbefürworter uns als Schafe bezeichnen lassen müssen - wir sind nicht diejenigen, die denken, sie kämpfen für ihre Freiheit, indem sie laut blökend, brav und geordnet, der von den Behörden genehmigten Route folgend, durch die Landschaft trotten - inklusive Herdenschutz in Form eines Polizeibusses! Ihr seid keine Freiheitskämpfer, ihr seid ein Karneval.


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